Abschied vom geliebten Pferd: Eine Geschichte über Verlust und Liebe

Der Herbstwind streifte sanft durch die Blätter der alten Eiche, die am Rand der Koppel stand. Die Sonne warf lange Schatten über das goldene Gras, und ein friedlicher Duft von Erde und reifem Obst lag in der Luft. Mia lehnte am Zaun, ihre Hand auf dem rauen Holz, und beobachtete, wie Aurora, ihr geliebtes Pferd, gemächlich graste. Aurora war eine stolze Rappstute mit einem seidigen Fell, das in der Sonne zu glänzen schien wie Ebenholz. Ihre Augen, tief und ausdrucksstark, hatten Mia über die Jahre hinweg immer Trost gespendet.
Mia war 16, als Aurora in ihr Leben trat. Das Mädchen war damals schüchtern und unsicher, doch Aurora hatte etwas in ihr geweckt, das sie zuvor nie gespürt hatte: Mut. Die ersten Monate waren nicht leicht gewesen. Aurora war ebenso stur wie Mia unsicher, und es hatte gedauert, bis die beiden ein Team wurden. Doch mit jedem Ausritt, jedem Training, ja sogar mit jedem kleinen Misserfolg war ihre Bindung gewachsen. Aurora war mehr als nur ein Pferd. Sie war ein Freund, ein Gefährte und oft auch ein Lehrer.
Nun stand Mia hier, in einem Moment, den sie so lange hinausgezögert hatte, und wusste, dass dies ihr letzter gemeinsamer Herbst sein würde. Aurora war 25 Jahre alt. Ihre Bewegungen waren langsamer geworden, ihre Schritte nicht mehr so geschmeidig wie einst. Der Tierarzt hatte es ausgesprochen: Arthrose. Sie könne zwar noch eine Weile leben, aber die Schmerzen würden irgendwann zu viel werden.
Mia biss sich auf die Lippen und kämpfte gegen die Tränen an. Sie wusste, was zu tun war. Sie wollte nicht, dass Aurora litt, doch die Entscheidung fiel ihr so schwer, dass es sich anfühlte, als würde ein Teil von ihr brechen.
An diesem Nachmittag beschloss Mia, eine letzte Woche voller Erinnerungen mit Aurora zu verbringen. Sie wollte sicherstellen, dass jede Sekunde gezählt wurde.
Am ersten Tag führte Mia Aurora zu ihrem Lieblingsplatz am Fluss. Das Wasser glitzerte im weichen Licht der Nachmittagssonne, und Aurora plantschte mit den Hufen, wie sie es immer getan hatte. Mia saß im Gras, strich über die Halsmähne ihrer Stute und erzählte ihr Geschichten von all den Abenteuern, die sie gemeinsam erlebt hatten. Sie sprach von dem ersten Turnier, bei dem sie beide vor Aufregung beinahe durchgedreht waren. Von dem Sommer, als sie stundenlang über die Wiesen galoppiert waren und sich dabei so frei gefühlt hatten wie niemals zuvor.
Am zweiten Tag packte Mia Auroras Lieblingsleckerlis ein und sie ritten gemeinsam durch den Wald. Das Rascheln der Blätter und der Duft von Moos und Holz füllten die Luft. Aurora bewegte sich langsam, aber Mia war geduldig. Sie wusste, dass dies kein Rennen war. Es ging darum, einfach zusammen zu sein. Am Abend, als die Sonne hinter den Bäumen versank, hielten sie an einer Lichtung an und beobachteten den Himmel, der sich in allen Farben des Regenbogens verfärbte.
Am dritten Tag blies der Wind stark und trug das Versprechen des kommenden Winters mit sich. Mia beschloss, in der Halle zu reiten. Sie wollte noch ein letztes Mal den vertrauten Klang von Auroras Hufen auf dem Sandboden hören. Sie ritten keine komplizierten Figuren, nur das, was Aurora leichtfiel. Doch jedes Mal, wenn Mia über den Hals ihrer Stute strich, spürte sie, wie viel Liebe und Vertrauen zwischen ihnen lag.
Die Tage vergingen schnell, und der Abschied kam näher. Mia spürte die Last auf ihren Schultern wachsen, doch sie wollte stark sein – für Aurora.
Am letzten Abend saß Mia lange bei Aurora in der Box. Sie hatte ihr eine warme Decke übergelegt und brachte ihr eine Möhre, die Aurora genüsslich zerkaute. „Du bist das Beste, was mir je passiert ist,“ flüsterte Mia, ihre Stimme rau vor Emotionen. Aurora wandte den Kopf und stupste Mia sanft mit der Nase an, als wollte sie sagen: „Ich weiß.“
Der Morgen des Abschieds war kalt und klar. Mia stand neben Aurora, die auf der Koppel stand und den Sonnenaufgang betrachtete. Der Tierarzt war unterwegs, und Mia wusste, dass die Zeit knapp wurde. Sie hatte das Gefühl, als würde die Welt stillstehen, während ihr Herz schwer und voller Wehmut schlug.
Als der Tierarzt eintraf, sprach er leise und mitfühlend. Mia hatte alles vorbereitet. Aurora stand ruhig, als wüsste sie, dass ihre Zeit gekommen war. Mia hielt ihre Hand auf Auroras Hals und flüsterte leise Worte, während die letzte Injektion gesetzt wurde. „Ich liebe dich,“ sagte sie und spürte, wie ihre Stute sich noch ein letztes Mal entspannte. Dann wurde es still.
Die Tage nach dem Abschied waren schwer. Mia spürte die Leere, wo Aurora einst gewesen war. Doch gleichzeitig verspürte sie eine seltsame Art von Frieden. Sie wusste, dass sie das Richtige getan hatte. In den kommenden Wochen schrieb sie ihre Erinnerungen an Aurora nieder, um die Momente festzuhalten, die sie gemeinsam erlebt hatten.
Mit der Zeit begann Mia, die Lehren zu erkennen, die Aurora ihr hinterlassen hatte. Sie hatte gelernt, Verantwortung zu übernehmen, ihre Ängste zu überwinden und im Moment zu leben. Aurora war nicht mehr bei ihr, doch ihre Lektionen würden für immer Teil von Mia bleiben.
Ein Jahr später stand Mia wieder an der Koppel, doch diesmal mit einem anderen Pferd. Ein junges, ungestòrtes Fohlen, das neugierig an ihren Haaren zupfte. „Du hast große Hufabdrücke zu füllen,“ sagte Mia mit einem Lächeln. Doch sie wusste, dass Aurora ihr den Mut geschenkt hatte, neu anzufangen.
Manchmal, wenn der Wind leise durch die Bäume flüsterte, glaubte Mia, das Echo von Auroras Wiehern zu hören. Es war ein Zeichen, dass ihre geliebte Stute immer bei ihr sein würde – in ihrem Herzen, ihren Erinnerungen und in dem, was sie für immer gelernt hatte: zu lieben und loszulassen.
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Wunderschöne Kurzgeschichte. Hat mich sehr berührt :)
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